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Berlinfahrt 2025 - Orte der Erinnerung I Rückblick

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Den Auftakt für die Bildungsreise nach Berlin bildete ein Vortreffen im Johannes-Foyer in Saarbrücken. Bei diesem Treffen bekamen die 27 Teilnehmerinnen praktische Hinweise für die Reise an die Hand und einen Einblick in die ereignisreiche Geschichte Berlins von den 1920er Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989. Sie hörten davon, dass sich Berlin in den 1920er Jahren zur Kulturmetropole entwickelte, ermöglicht durch die in der Weimarer Verfassung fixierten Grundrechte und persönlichen Freiheiten. Kunst und Kultur erlebten, wie Andreas Feid von der Kirche der Jugend eli.ja referierte, in dieser Phase der Spreestadt einen bis dahin noch nie dagewesenen Aufschwung. Dieser wurde jedoch am Ende der 20er Jahre wieder gebremst, nachdem die Weltwirtschaftskrise auch Berlin erreicht hatte. Die steigenden Arbeitslosenzahlen im gesamten Deutschen Reich (allein in Berlin stieg die Arbeitslosigkeit bis 1932 auf 30,8 Prozent bei sich halbierender industrieller Produktion) lieferten den rechtsextremen Parteien im Reichstag (allen voran der NSDAP) eine willkommene Begründung für ihre Ablehnung der Republik. (Empfohlen wurde den Teilnehmerinnen die Serie Babylon Berlin, die in vier Staffeln vom Berlin der späten 1920er und frühen 1930er Jahren, dem aufregenden Sündenbabel und der politisch zerrissenen Metropole erzählt.) 

Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit machten die Menschen empfänglich für die Propaganda der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). 1932 gewann die NSDAP unter dem Parteivorsitz Adolf Hitlers die Reichstagswahlen, woraufhin Hitler am 30. Januar 1933 von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde. Michael Federkeil von der Fachstelle Jugend im Visitationsbezirk Saarbrücken erklärte, wie es den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler in nur wenigen Monaten gelang, die erste parlamentarische Demokratie im Deutschen Reich in eine totalitäre Diktatur umzugestalten – beginnend mit der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Reich“ vom 28. Februar 1933, mit der die Nationalsozialisten auf Grundlage des Artikels 48 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung die individuellen Grundrechte und bürgerlichen Freiheitsrechte „bis auf weiteres“ außer Kraft setzten. Zunächst zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“, alsbald aber auch, um gegen alle diejenigen gewaltsam vorgehen zu können, die von den Nazis zu „Untermenschen“ erklärt worden waren. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Dieser wurde am 8. Mai 1945, also vor 80 Jahren, durch die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht beendet. Zugleich ist dieses Datum untrennbar mit dem Ende des menschenverachtenden Terrorregimes der NSDAP unter dem Führer und Reichspräsidenten Adolf Hitler verbunden.  

Lutwin Gilla referierte die Nachkriegszeit von der Teilung Deutschlands bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Folge der Aufteilung des Kriegsverlierers Deutschlands in vier Besatzungszonen (Großbritannien, Frankreich, USA, Sowjetunion) und der Gründung zweier Staaten mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen: der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) durch die Sowjetunion am 7. Oktober 1949 und der Bundesrepublik Deutschland durch die USA, Großbritannien und Frankreich am 23. Mai 1949. Lutwin erzählte viel von seinen eigenen Erfahrungen, die er bei seinen Reisen in die ehemalige DDR gesammelt hatte und von Freundschaften, die dabei entstanden waren. Besonders beeindruckend waren seine sehr persönlichen Schilderungen, wie er die Maueröffnung seinerzeit erlebte sowie von der unermesslichen Freude darüber, seine Freunde in Freiheit zu wissen und sie nach Belieben besuchen zu können.   

Mit diesen Vorkenntnissen und Eindrücken begaben sich die 27 Jugendlichen am 22. April 2025 auf Bildungsreise in die Hauptstadt. Begleitet wurden sie von einem fünfköpfigen Team aus hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der Fachstelle Jugend im VB Saarbrücken, dem PastR Saarbrücken und der Schulpastoral im PastR Saarbrücken. Sie hatten die Bildungsreise inhaltlich und logistisch vorbereiteten wie bereits zuvor die Wanderausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ samt Rahmenprogramm an verschiedenen Orten im Saarland. Die Bildungsreise nach Berlin ist eine Folge des Großprojektes zu Anne Frank, denn die Teilnehmerinnen rekrutierten sich überwiegend aus dem Pool der 52 Peer Guides, die die Besuchergruppen mit über dreitausend Besucher*innen über einen Zeitraum von acht Wochen durch die Ausstellung begleitet hatten. 

Nach Ankunft am Berliner Hauptbahnhof und Bezug der Unterkunft in der Osloer Straße besuchte die Gruppe den Kurfürstendamm mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die mit ihrer 125-jährigen Geschichte einen Bogen vom kaiserlichen Nationaldenkmal des späten 19. Jahrhunderts zum internationalen Mahnmal gegen den Krieg und für den Frieden spannt. Am Abend traf sich die Gruppe nach dem gemeinsamen Abendessen zum Ausblick auf das Programm in den nächsten Tagen.  

Führung durch das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, Besuch des Bundestages mit Politikergespräch und anschließendem Mittagessen im Paul-Löbe-Haus, Seminar in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.  

Den Teilnehmerinnen ist die ehemalige DDR zumeist aus dem Geschichts- oder Politikunterricht bekannt, einigen überdies aus den Berichten ihrer Eltern; die Mutter einer Teilnehmerin kam noch in der DDR zur Welt. Beeindruckt und zugleich erschüttert waren die Teilnehmerinnen nach dem Besuch des Stasi-Gefängnisses in Hohenschönhausen. Zu sehen, wie Gefangene vor allem in der ersten Phase ab 1947, in der das Gefängnis zunächst noch von der sowjetischen Besatzungsmacht, genauer vom sowjetischen Geheimdienst geführt worden war, bevor es vom Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) übernommen wurde, in beengten Zellen ohne Tageslicht und frischer Luft eingepfercht und überdies gefoltert wurden, um ihnen ein Geständnis abzupressen, schockierte die Teilnehmerinnen merklich. Der Übergang von der physischen Gewalt zur psychologischen Strategie der Zersetzung markiert die Zweite Phase der Haftanstalt, die auch mit dem Erweiterungsbau einhergeht, der den U-Boot genannten, weil fensterlosen, bunkerartigen Trakt ergänzte. Die Referent*innen der Gedenkstätte demonstrierten die Verhörmethoden, die angewandt wurden, um, bis in die Familien hinein, die Menschen gegeneinander aufzubringen, sich gegenseitig des Staatsverrates zu verdächtigen oder gar an die Stasi zu verraten. Die Teilnehmerinnen erfuhren, dass Verhöre meist in der Nacht geführt wurden, dass Gefangene in ihren Einzelzellen sich tagsüber nicht hinlegen und nachts nur auf dem Rücken liegen durften, dass die Isolationshaft jeden Kontakt der Gefangenen untereinander verhinderte. Dass Menschen dies in Deutschland angetan wurde und dann auch noch aus dem Beweggrund, ein faktisches Unrechtssystem künstlich am Leben zu erhalten, bestürzte die Teilnehmerinnen sichtlich.  

Mit der menschenverachtenden Politik der Nazis hatten sich die Teilnehmerinnen bereits im Zusammenhang mit der Anne-Frank-Ausstellung ausgiebig beschäftigt, diese Phase der deutschen Geschichte hingegen war den meisten von ihnen zumal unter dem Aspekt der Strategie der Zersetzung bis dahin nicht näher bekannt.  

Am Nachmittag besuchte die Gruppe die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. 

Der nächste Tag führte schon am frühen Morgen zum Reichstagsgebäude, wo die Gruppe über die Arbeit des Bundestages informiert wurde und anschließend Gelegenheit hatte, mit den Mitarbeitenden der Bundestagsabgeordneten Josephine Ortleb, von der die Gruppe eingeladen worden war, zu diskutieren. Gegenstand der Diskussion war unter anderem die künftige Finanzierung von politischen Bildungsveranstaltungen. Vor dem Mittagessen in der Abgeordnetenkantine im Paul-Löbe-Haus war noch ein kurzer Ausflug zur Kuppel und Dachterrasse des Reichstagsgebäudes möglich.  

Nach dem Mittagessen suchte die Gruppe das Denkmal für die ermordeten Juden Europas auf, das unweit von Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor gelegen ist, bevor sie sich von dort zum Potsdamer Platz aufmachte. 

Das viereinhalbstündige Seminar in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand erwähnten einige Teilnehmerinnen in der Abschlussreflexion ausdrücklich positiv. Sie bemerkten dazu, dass sie sich von den Referentinnen gut begleitet fühlten und dass ihre Nachfragen kompetent behandelt worden seien. Nach einer Einführung in das Thema deutscher Widerstand wurden die Teilnehmerinnen bei einer Führung durch ausgewählte Bereiche der Ausstellung mit Personengruppen und Einzelpersonen bekannt gemacht, die sich dem Nazi-Regime widersetzten. Darunter der Widerstand Jugendlicher, das Attentat vom 20. Juli 1944 von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitstreitern, das als der bedeutendste Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in die Geschichtsschreibung eingegangen ist; dabei lernten sie auch den bereits 1939 von Georg Elser verübten Bombenanschlag auf Hitler kennen, der vom Stauffenberg-Attentat zu Unrecht überschattet wird. Die daran anschließende Biographiearbeit, bei der sich die Teilnehmerinnen intensiv mit Einzelpersonen des Widerstands auseinandersetzten, erachteten diese als für sie selbst gewinnbringend. Sie gaben an, dass die eigene Erarbeitung der Motive, die Menschen in den Widerstand geführt hatten, ihnen einen ganz persönlichen Zugang eröffnet hätte, den sie in dieser Intensität allein durch das Verfolgen eines Referats nicht hätten gewinnen können.    

Nach der Mittagspause machte sich die Gruppe auf den Weg zum Anne-Frank-Zentrum mit seiner Dauerausstellung zu Anne Frank. Hier verweilten einige der Teilnehmerinnen über mehr als eineinhalb Stunden, bevor sie sich in Kleingruppen die Hackeschen Höfe anschauten und den Alexanderplatz besuchten.  

Einig waren sich die Teilnehmerinnen am Vorabend des Abreisetages darin: Weder die Ideologie der Ungleichwertigkeit des NS-Regimes noch die Strategie der Zersetzung der Stasi dürfen hierzulande noch auch überhaupt wieder möglich sein. Es gilt jede Tendenz, die eine Wiederbelebung ermöglichen würde, im Keim zu ersticken. Dazu braucht es historisches Wissen um das, was in der Geschichte dazu geführt hat, ebenso wie den Mut, zu benennen, was gegenwärtig für vergleichbar mit der Vergangenheit gehalten wird. 

Das Nachtreffen fand am 5. Juni 2025 statt, teilgenommen haben 14 der mitgereisten Jugendlichen. Bei diesem Treffen ging es mit Blick auf die Berlinfahrt im kommenden Jahr vom 11. April bis zum 18. April 2026 um eine kritische Einschätzung der Teilnehmerinnen – und zwar sowohl die Rahmenbedingungen als auch das Programm betreffend. Zunächst zu den Rahmenbedingungen. An- und Abreise mit der Deutschen Bahn und Unterbringung in der Gäste-Etage in der Osloer Straße blieben unbeanstandet, ebenso die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin selbst. Geteilter Meinung waren die Teilnehmerinnen in Bezug auf das Abendessen. Hier wurde von manchen der Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung bei der Wahl der Gerichte geäußert. Nun zum Programm. Vorausgeschickt sei, dass die Teilnehmerinnen schon bei der Abschlussreflexion vor Ort mehrheitlich die Ausgewogenheit von Programm und Freizeit ausdrücklich betont hatten. Daran hatte sich auch mit etwas mehr Abstand zum Aktionszeitraum nichts geändert. Die einzelnen Programmpunkte kamen bei den Teilnehmerinnen gut an, vor allem das Seminar in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist den Teilnehmerinnen nachhaltig in Erinnerung geblieben.  

Ein abschließender methodischer Schritt an diesem Abend war der Frage an die Teilnehmerinnen gewidmet, ob die gewonnenen Eindrücke bei ihnen selbst etwas verändert hätten. Diese Frage war an diesem Abend kontextuell eingebettet in die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung, die 2020, also vor genau fünf Jahren, nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA ins Leben gerufen wurde. Gleichfalls war diese Frage kontextuell eingebettet in die Erinnerung an das Kriegsende vor 80 Jahren nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Für mache der Teilnehmerinnen hinterließ der Besuch des Stasi-Gefängnisses eine Veränderung, was den Umgang mit dem verbürgten Recht auf freie Meinungsäußerung und anderen Freiheitsrechten betrifft. Hier wurde den Teilnehmerinnen erst bewusst, was es heißt, von diesem Recht so selbstverständlich Gebrauch machen zu können, wie wir alle es tagtäglich tun, ohne darüber nachzudenken. Dass auch die Nationalsozialisten die individuellen Grundrechte einschränkten, was bei ihnen darin mündete, dass Menschen willkürlich verfolgt, verhaftet, gefoltert und ermordet werden konnten, setzten die Teilnehmerinnen in den Kontext der ‚Black Lives Matter‘-Bewegung. Hier waren sich die Teilnehmerinnen einig, dass jeder Tendenz, die der Errichtung einer Ideologie der Ungleichwertigkeit Vorschub leisten könnte – ob in den USA oder in Deutschland oder wo auf immer auf der Welt – unmissverständlich und entschlossen Widerstand zu leisten ist. Das haben sie nicht zuletzt auch aus dem Seminar in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand mitgenommen. 

Berlin 2025 - Orte der Erinnerung

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